Wie viel unzufriedener Menschen durch den zweiten Lockdown sind

Wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihnen seit den Lockdown-Maßnahmen nicht gut geht, so sind Sie nicht die bzw. der einzige. Die folgende Grafik zeigt, wie sich die Zufriedenheit in Deutschland vom Ende des ersten Lockdowns über den Sommer bis jetzt zum zweiten Lockdown auf einer Skala von 1-10 entwickelt hat.

Man sieht, wie die Zufriedenheit derselben Person direkt nach dem ersten Lockdown noch recht niedrig war, dann langsam anstieg und bis zur Befragung am 7.8.2020 ungefähr den deutschen Durchschnittswert erreichte (bei etwa 7,4 von 10 möglichen Punkten).

Wie schlimm ist ein Rückgang von 0,9?

Dann sieht man jedoch, wie die Zufriedenheit mit dem Leben ab dem 2.11., also mit Anfang des neuen Lockdowns, extrem abfiel und seitdem auf diesem niedrigen Niveau ist. Mit welchem Recht nenne ich einen Rückgang um 0,9 Zufriedenheitspunkte extrem? In meinem Buch „Wann sind wir wirklich zufrieden“ nutze ich für Effekte immer dieselbe Sprache. Jeder Effekt stärker als 0,5 wird von mir dort durchgängig „extrem stark“ genannt. Aber Sie können einen Effekt von 0,9 auch mit sonstigen Effekten vergleichen, die ich in meinem Buch untersuche. So zeigt sich beispielweise, dass Menschen in dem Jahr, in dem sie sich von ihrem Partner trennen, um 0,6 Punkte unzufriedener sind, Arbeitslosigkeit geht ebenfalls mit einem Verlust an Lebenszufriedenheit von etwa 0,6 Punkten einher. Man muss jedoch etwas vorsichtig bei der Interpretation sein. Denn andere Effekte beziehen sich jeweils auf ein ganzes Jahr. Dieser Effekt ist jedoch erst mal nur sehr kurzfristig. Die Relationen zeigen jedoch grob, wie stark der Rückgang an Lebenszufriedenheit um etwa 0,9 Punkte von Anfang August bis Mitte November war. Es ist wirklich ein extrem starker Effekt. Übrigens könnte man ja denken, dass die Lebenszufriedenheit im November immer sinkt. Doch für mein Buch habe ich das einmal ausgerechnet: in anderen Jahren zeigt sich kein systematischer Rückgang von August bis November.

Wie gut sind die Daten?

Woher kommen die Daten und wie aussagekräftig sind sie? Dr. phil. Anne Runde und Privatdozent Dr. med. Gregor Leicht der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben seit Anfang Mai immer wieder dieselben 170 Persone nach ihrer Lebenszufriedenheit gefragt und mir die Daten zur Verfügung gestellt. Ich nutze nur die Daten der Befragten, die zu allen 9 Zeitpunkten befragt wurden. Zu jedem Zeitpunkt zeige ich die durchschnittliche Zufriedenheit derselben immer wieder befragten Person. Der Zeitraum der Befragung ist immer das angegebene Datum plus 14 Tage, außer zum letzten Zeitpunkt, da reichen die Daten bis zum 4.12.

Die Daten sind damit nicht repräsentativ für ganz Deutschland. Doch da Sie Veränderung innerhalb derselben Person zeigen, statt die Zufriedenheit jeweils unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, sollte das kaum ins Gewicht fallen, wenn man wissen will, wie sich die Zufriedenheit von Menschen im Zuge der verschiedenen Pandemie-Phasen entwickelt hat. Beispielweise sind Frauen in der Umfrage mit etwa drei Vierteln der Teilnehmer überrepräsentiert. Das ist jedoch egal, denn der starke Rückgang der Zufriedenheit zeigt sich sowohl bei Männern wie bei Frauen fast gleichmaßen.

Analyse nach Geschlecht, Bildung, Einkommen, und Alter

Auch wurde viel spekuliert, ob die Pandemie und der erneute Lockdown für Menschen mit höherer oder niedrigerer Bildung schlimmer sind. Es zeigt sich jedoch, dass der starke Rückgang an Lebenszufriedenheit sich in jeder Bildungsschicht findet.

Ebenso wurde viel darüber diskutiert, ob gerade Gutverdiener oder wenig verdienende Menschen betroffen sind. Doch da der Trend auch hier über die Gruppen hinweg recht ähnlich ist, evtl. mit Ausnahme derer, die sehr wenig verdienen, ist nicht davon auszugehen, dass statistische Verzerrung aufgrund des Geschlechts oder Einkommens eine Rolle spielt. Wie man sieht, sind jedoch die statistischen Konfidenzintervalle recht groß. Insofern muss man mit genauen Interpretationen vorsichtig sein. Auf die letzte Nachkommastelle würde ich die Daten deswegen nicht interpretieren. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn der starke Rückgang ist ja so oder so offensichtlich.

Eine große Frage war zuletzt, ob jüngere, ältere oder mittelalte Menschen besonders leiden. Hier zeigen die Daten dass der starke Rückgang an Lebenszufriedenheit seit dem Lockdown wirklich überall zu finden ist.

Was machen wir daraus?

Es ist somit davon auszugehen, dass der akute Lockdown Menschen sehr viel unzufriedener gemacht hat, egal welches Geschlecht sie haben, wie sie gebildet sind, wie viel sie verdienen und wie alt sie sind. Der erneute Lockdown bringt anscheinend großes Leid über alle Menschen. Was bedeutet das?

Bevor „Querdenken“-Gruppierungen und sonstige Aluhutträger diese Daten nun als Beleg nehmen wollen, dass der Lockdown eine schlechte Idee ist, lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Ja, es geht Menschen seit Anfang November sehr viel schlechter. Nein, das bedeutet nicht, dass der Lockdown eine schlechte Idee ist. Warum nicht? Wenn man Menschen bei einem Bombenangriff sagt, sie sollen in den Keller gehen und sie es dort nicht schön finden, so ändert das nichts daran, dass sie in den Keller gehen sollten. Die Alternative zum Lockdown ist ja nicht unser altes Leben, sondern ein frei grassierender Virus. Ja, der Lockdown ist scheiße. Ja, auch mir drückt er beispielsweise aufs Gemüt. Aber nein, das heißt nicht, dass die Alternative besser wäre.

Die Message, die ich Ihnen mitgeben möchte, ist deswegen: Das ist jetzt gerade eine schwierige Zeit, in der es den Menschen auch wirklich nicht gut geht. Wenn Sie sich schlecht fühlen, einsam, vielleicht sogar depressiver, dann geht es Ihnen wie vielen anderen auch. Und mal zu hören, dass man nicht der einzige ist, dem es gerade schlecht geht, kann das eigene Schicksal ja auch erträglicher machen, vielleicht sogar das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Aber, und das ist die gute Nachricht: Die ganze Situation geht auch wieder vorbei und es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass sich dann nicht auch die Lebenszufriedenheit rapide erholt, wie man es ja auch nach dem ersten Lockdown gesehen hat. Also, halten Sie durch, machen Sie sich keine Sorgen, wenn es Ihnen mal schlecht geht und lassen Sie uns gemeinsam auf bessere Zeiten warten, denn mehr können wir nicht tun und die besseren Zeiten kommen ganz sicher.