Warum es keine Generationen gibt

Will die Generation Z nicht mehr arbeiten? Ist die Generation Z fragil? Schwört die Generation Z beim Dating auf die Sterne? Ist sie die „Generation Bindungsunfähig“ (jetzt übrigens auch als Film)?

Tagtäglich bekomme ich solche Anfragen. Heute über die Generation Z, vorher über die Generation Y. Meist ist der Anlass, dass wieder ein TikTok Video, Managementguru, Entertainerin, Aktivistin oder Twitteruserin ein entsprechendes Gerücht in die Welt gesetzt hat, fast immer, ohne sich auf Daten zu stützen.

Entsprechend  lesen sich die meisten Generationenbeschreibungen. So wünschen sich die „Ypsiloner subtile Farben und natürliches Licht […]. Farbnuancen in entspannten Aquamarinblau- und Grüntönen sind beliebter als grelle, bunte Farben“ (Mangelsdorf 2014: 35). Andere beschreiben Generationen mit Attributen und deren genauem Gegenteil. So ordne die Gen Y angeblich alles dem Ziel unter, „in Beruf und Karriere voranzukommen.“ Doch gleichzeitig seien ihr  „Vereinbarkeit von Beruf und Familie weitaus wichtiger als eine steile Karriere“ (Hurrelmann und Albrecht 2014: 33, 42). Zwar habe die Generation Y eine „lauernde Angst vor dem Absturz“ doch gleichzeitig sei sie „immun gegen Ungewissheiten“ (Hurrelmann und Albrecht 2014: 24, 41). Ebenso habe die Generation Y zwar eine „realistische und pragmatische Weltsicht“, doch gleichzeitig verliere sie „vorübergehend die Maßstäbe für die reale Welt“ (Hurrelmann und Albrecht 2014: 42f.).

Ebenso schafft es die Generation Z für etwas zu stehen. Und gleichzeitig für dessen Gegenteil. Denn für die Generation Z  diese stehen angeblich „Sicherheit, Orientierung und Zugehörigkeit […] flexibel neben Leistungsorientierung und Ehrgeiz sowie dem Wunsch nach Abwechslung, individueller Entfaltung und Lebensgenuss“ (Klaffke 2014: 73). Solche Aussagen erinnern an Horoskope. Man behauptet etwas und gleichzeitig dessen Gegenteil. So kann sich jeder darin wiederfinden.

Dabei zeigen Metastudien: Empirisch gibt es keine Generationen. Sie sind ein Mythos, statt ein messbarer Fakt. Wie kann das sein? Und was heißt das überhaupt, dass es Generationen gibt? Und wie kann man das messen? Klassischerweise bedeutet die Aussage, dass es Generationen gibt, dass man die Einstellungen von Menschen durch ihr Geburtsjahr erklären kann, unabhängig davon wie alt sie gerade sind (denn das wäre kein Generationen-, sondern ein Alterseffekt) und wann man sie fragt (denn das wäre ebenfalls kein Generationen-, sondern ein Periodeneffekt).

Doch stellt man diese letzteren beiden Alters-und Periodeneffekte in Rechnung, bleiben eben kaum Generationeneffekte übrig. Man kann also Einstellungen von Menschen mit ihrem Alter erklären und man kann Einstellungen von Menschen damit erklären, wann sie befragt wurden. Aber man kann Einstellungen von Menschen kaum mit deren Geburtsjahr erklären. Und insofern gibt es keine Generationen.

Ich kann dies sagen. Denn ich bin selbst zu dem Thema gekommen, weil mir eine Literaturagentur einen lukraktiven Buchvertrag in Aussicht stellte, wenn ich nur zeigen könnte, dass die Generation Y anders sei. Doch ich fand nichts. Allen anderen, die sich ernsthaft mit den Daten beschäftigen, geht es ebenso. Deswegen wurde in der Forschungsliteratur schon ein Nachruf auf das Generationenkonzept verfasst. Internationale Umfrage-Institute lassen Generationenunterscheidungen deshalb mittlerweile  fallen. Und die Forschungsliteratur fragt nicht mehr, ob es Generationen gibt, sondern wieso wir immer noch an Generationen glauben, obwohl jeder, der ernsthaft versucht, Einstellungen durch Generationenzugehörigkeit zu erklären, keine entsprechenden Effekte findet. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Und so gehen bei mir weiterhin täglich Emails mit derselben Frage ein: Gibt es die Generation Z, Y, X (und bald sicherlich A, B und C) nicht doch? Zumindest vielleicht ein bisschen?

Weil es wenig Sinn macht, nur immer wieder dieselben Antworten aufzuschreiben, verfasse ich diesen Blogpost, den ich jedes Jahr mit den neuesten Daten updaten werde. Analog zur Vorgehensweise meines begutachteten Fachzeitschriftenartikels zu diesem Thema zeige ich hier mit den derzeit neuesten Daten des sozio-oekonomischen Panels (SOEP v38, erschienen 2023, alle Einstellungsvariablen mit langfristigen Befragungen von circa 85 000-670 000 Interviews zwischen 1984 und 2021), warum es messbar kaum Sinn macht, Generationen zu unterscheiden.

Dabei rechne ich erst die oben genannten Alters- und in einem zweiten Schritt die oben genannten Periodeneffekte heraus, um zu testen, ob nach diesen beiden Effekten Einstellungsunterschiede übrig bleiben, welche man mit dem Geburtsjahr einer Person und insofern mit ihrer vermeintlichen Generationenzugehörigkeit erklären kann. Denn zu sagen, dass beispielsweise 18-jährige anders über Arbeit denken als 40-jährige, sagt noch nichts über Generationen aus, sondern nur über Alt und Jung. Deswegen kann man über Generationen nur etwas aussagen, wenn man die Einstellungen von Menschen gleichen Alters vergleicht. Dies macht bei den untenstehenden Grafiken immer die linke Seite jeder Darstellung. Und siehe da: dort sieht es in der Tat oft so aus, als ob unterschiedliche Geburtenkohorten unterschiedliche Einstellungen haben.

Doch das unterschlägt den zweiten Einflussfaktor, den Periodeneffekt, welchen man ebenfalls rausrechnen muss: wer später geboren wurde, wurde im Schnitt auch später nach seiner Meinung gefragt. Doch wir alle denken heute anders als früher. Und wenn beispielsweise alle heute weniger arbeiten wollen als frührer, sagt das nichts über Generationen aus, sondern ist vielmehr ein Effekt des historischen „Zeitgeistes“, der alle  gleichermaßen betrifft, unabhängig davon, wann man geboren wurden und zu welcher Generation man also gehört.

Von Generationen kann man gegenüber diesen Alters- und Periodeneffekten somit nur sprechen, wenn Menschen gleichen Alters zum gleichen Zeitpunkt je nach Geburtszeitpunkt unterschiedliche Einstellungen haben. Letzteren sogenannten Periodeneffekt berücksichtigt auch die rechte Seite der untenstehenden Grafiken, um Einstellungsunterschiede zu zeigen, die man wirklich auf das Geburtsjahr, statt nur auf das Alter und den Befragungszeitpunkt zurückführen kann.

Und setzt man diesen Maßstab an,  zeigt sich im wesentlichen, was die ernsthafte Forschungsliteratur schon lange, aber mit wenig öffentlicher Sichtbarkeit argumentiert: Berücksichtigt man den Effekt unterschiedlicher Lebensphasen und Befragungszeitpunkte, bleiben kaum Generationeneffekte übrig. Junge denken also durchaus anders als Alte. Und wir alle denken heute durchaus anders als früher. Doch bestimmte Generationen denken nur selten systematisch anders, wenn man sie im gleichen Alter und zum gleichen Zeitpunkt befragt. Aber gehen wir das Einstellung für Einstellung durch.

Die Daten

Das sozio-oekonomische Panel hat über 80 000 Menschen von 1984 bis 2021 über 600 000-mal Fragen gestellt wie: „Machen Sie sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz?“ Antworten darauf können lauten: 1 „Keine Sorgen“, 2 „Einige Sorgen“ oder 3 „Große Sorgen“. Eine andere Frage wäre: „Wie wichtig ist es für sie persönlich, sich selbst zu verwirklichen“. Die  möglichen Antworten lauten: 1 „ganz unwichtig“, 2 „weniger wichtig“, 3 „wichtig“, 4 „sehr wichtig“.

Ich habe alle Einstellungsfragen untersucht, für die es genug Daten gibt, um zu berechnen, ob die Antworten sich je nach Generation unterscheiden. Die Frage lautet also: Unterscheiden Generationen sich in ihren Sorgen, Prioritäten, Zielen und in ihrem Engagement unabhängig von ihrem Alter und unabhängig davon, wann man sie befragt? Dabei habe ich Geburtenkohorten immer in Fünf-Jahres-Kohorten eingeteilt und jeweils dazu geschrieben, mit welcher Generation diese Kohorte normalerweise assoziiert wird. So sind die „BB 55“ die sogenannten Babyboomer, die von 1955 bis 1959 geboren wurden usw.

 

Einstellungen zu Beruf und Wirtschaft

Fangen wir mit dem vielleicht wichtigsten Thema an: Ist einer bestimmten Generation Arbeit weniger wichtig? Die linke Grafik zeigt, dass eine Kohorte nach der anderen sich vermeintlich weniger Sorgen um ihren Arbeitsplatz macht. Nun aber zu der Interpration: Auf einer Skala von 1-3 sanken diese Sorgen von den 1930 Geborenen bis zur aktuellen „Generation Z“ immer weiter, von etwa 1,9 für die 1930 Geborenen auf 1,3 für die ab 2000 Geborenen. Diese Werte sind berets bereinigt um den Effekt des Alters. Es werden also nicht Alte mit Jungen verglichen, sondern Menschen im selben Lebensalter.

Doch die rechte Grafik zeigt: fast alle Effekte liegen am Periodeneffekt: Die später geborene Generation Z wurde später gefragt, während alle Befragten sich weniger Sorgen um ihren Arbeitsplatz machten, auch die früher Geborenen, die allerdings im Schnitt früher gefragt wurden. Hält man diesen Periodeneffekt konstant (rechte Grafik), zeigt sich, dass Generationen, die man zur selben Zeit befragt, sich fast alle gleich wenig Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen.

Das bedeutet: Befragt man Generationen zur selben Zeit (beispielsweise 2020), hat die sogenannte „Generation Z“ einen Wert von 1,52 auf der „Sorgen um Arbeitsplatz“-Skala von 1-3, während selbst die vor fast 100 Jahren um 1930 Geborenen einen Wert von 1,68 haben. Das ist ein Unterschied. Aber eben nur ein kleiner. Und trotz der hundertausenden Befragten ist der Unterschied kaum statistisch signifikant, was man daran sieht, dass das graue Konfidenzintervall kaum über der Nullinie liegt, welche die Einstellung der Generation Y markiert (die letzte Generation mit vollständigen Daten). Wir sind heute also alle weniger besorgt um unseren Arbeitsplatz als früher. Doch es ist dieser Periodeneffekt, vielmehr als der Effekt irgendeiner Generationenszugehörigkeit, welcher erklärt, ob jemand sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz macht.

Genauso ist es mit Sorgen über die generelle wirtschaftliche Entwicklung. Der linke Graph scheint zu vermitteln, dass ob eine Generation nach der nächsten sich immer weniger Sorgen über die generelle wirtschaftliche Entwicklung macht. Doch der rechte Graph zeigt das Ergebnis, wenn man Kohorten zum selben Befragungszeitpunkt vergleicht. Dann zeigt sich wieder: Es gibt kaum Unterschiede zwischen den Generationen, wenn man sie zur selben Zeit befragt. Das heißt: alle machen sich mit der Zeit weniger Sorgen über die Wirtschaft. Doch Unterschiede zwischen den Generationen gibt es dahingegen kaum. Der größte Unterschied nach Konstanthaltung von Alters- und Periodeneffekten ist, das die 1995 Geborenen sich mit 2,06 am wenigsten Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung machen und die 1955 geborenen Babyboomer mit 2,16 am meisten. Aber das ist ein maximaler Unterschied von 0,1 auf einer Skala von 1-3.

Immer wieder zeigt sich dieses Muster: Nicht die Generationenzugehörigkeit erklärt wie wir Denken, sondern wann wir danach gefragt wurden. Fragt man vermeintliche Generationen zur selben Zeit und im selben Alter, denken sie also fast genau gleich (jeweils rechte Grafik).

Das heißt nicht, dass es absolut keine Unterschiede git. Es stellt sich jedoch die Frage, für wie wichtig man einen Unterschied von 1,73 (von 3) der Generation Z gegenüber dem Maximalwert von 1,95 (der 1960 geborenenen Babyboomer) bewerten will, wenn es beispielsweise um Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation auf einer Skala von 1-3 geht. Denn immer wieder sieht man: Veränderungen über das Lebensalter sind groß und Veränderungen aller Gesellschaftsmitglieder mit voranschreitender Kalenderzeit sind groß. Doch demgegenüber sind vermeintliche Generationenunterschiede sehr klein.

Die wenigen Unterschiede die es gibt sind, dass die Generation Z sich in der Tat signifikant weniger Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation macht, ohne dass dies vollständig durch ihr (junges) Alter oder ihren (späten) Befragungszeitpunkt ab 2018 zu erklären ist. Man muss allerdings vorsichtig sein, denn die sogenannte Generation Z ist in den neuesten vorhandenen Daten maximal 21 Jahre alt (geboren ab 2000, letzter Befragungszeitpunkt 2021). Es ist also gewagt, von den Einstellungen maximal 21-jähriger auf einen stabilen Generationeneffekt zu schließen (was sicher nichts daran ändern wird, das demnächst jemand auf die Idee kommt, die „Generation Alpha“ auszurufen, schließlich ist man nun ja am Ende des Alphabets angelangt und muss von vorne anfangen).

Ähnlich ist es mit der Bewertung von Wichtigkeit von Erfolg im Beruf. Auch nach Kontrolle des Befragungsjahres zeigt sich, dass die Babyboomer Erfolg im Beruf für etwas wichtiger halten als später geborene Generationen. Zudem ist die Grafik rechts ähnlich wie links. Es gibt also keinen starken Periodeneffekt. Stattdessen zeigt sich, dass die 68er und Babyboomer Arbeit unabhängig von ihrem Alter und Befragungszeitraum beruflichen Erfolg für besonders wichtig halten. Aber wieder kann man fragen: Wie groß ist ein maximaler Unterschied von 3,01 (für die 68er) zu 2,71 (für die Generation Z) auf einer Skala von 1 bis 4?

Was ist vermeintlichen Generationen ansonsten wichtig?

Ich vermute, Sie haben das Konzept nun verstanden. Links sieht man immer einen vermeintlichen Generationeneffekt. Rechts sieht man, was davon übrig bleibt, wenn man den Periodeneffekt rausrechnet, also immer nur Menschen vergleicht, die zur selben Zeit befragt wurden.

Bei politischen Engagement zeigt sich ein vermeintlicher konstanter Anstieg (links), der wieder fast vollständig durch einen Periodeneffekt zu Stande kommt. Es bleiben einige signifikante Unterschiede nach Kontrolle von Periodeneffekten (rechts). Aber die Frage ist: wie wichtig ist ein Unterschied von 2,25 (maximal) gegenüber 1,92 (minimal) bei der Frage, für wie wichtig unterschiedliche Generationen gesellschaftliches Engagement finden. Und auch hier zeigt sich: die vermeintlichen Unterschiede (links) bevor man Periodeneffekte konstant hält, sind viel stärker als die tatsächlichen Generationenunterschiede, welche nach Kontrolle des Befragungszeitpunkts übrig bleiben (rechts). Wir alle verändern also sehr stark unsere Meinung mit der Zeit (gesellschaftliches Engagement wird uns immer wichtiger). Doch von diesem fast linearen Anstieg, der alle erfasst, weichen Generationen kaum ab. Entsprechend dieser Logik können Sie nun die weiteren Kohorteneffekte vor (links) und nach Konstanthaltung der Periodeneffekte (rechts) selbst interpretieren und sich überlegen, wo Sie einen Unterschied relevant finden.